Emotionaler Erlebnisausflug: Sechs Stunden hinter Gittern

10 Schüler der Loher-Nocken-Schule nahmen vor den Sommerferien an einem außergewöhnlichen Schulprojekt teil: Sie besuchten im Rahmen des Projektes "Gefangene helfen Jugendlichen" ein echtes Gefängnis, die Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen!

Den Erstkontakt zum Verein "Gefangene helfen Jugendlichen" stellte die Lehrerin Anja Becker mit dem Projektkoordinator Herr Dirk Michgehl („Jumbo“) her. Nach einer einführenden Informationsveranstaltung im Unterricht interessierten sich 14 Schüler im Alter von 14-18 Jahren (Klasse 7-9) für das Projekt.10 Schüler konnten schlussendlich die Bedingungen einer Teilnahme erfüllen.

ghj jva besuche 750Herr Michgehl besuchte die Loher-Nocken-Schule im Vorfeld der Aktion und lernte die Projekttruppe kennen. An diesem Tag kam es neben der Vorbereitung auf den Besuch in der JVA-Gelsenkirchen auch zu vielen interessanten Gesprächen zu den Themen Straftaten, Gewalt, Drogen und Prävention von Haftstrafen.

Am 20.06.2024 um 6 Uhr begann die Anreise zur JVA-Gelsenkirchen. Alle Schüler standen schon so früh vor ihren Haustüren in sechs verschiedenen Städten des Ennepe-Ruhr-Kreises bereit, so dass die Gruppe überpünktlich um 07:30 Uhr an der JVA ankam und noch gemeinsam „in Freiheit“ frühstücken konnte. Bereits auf dem Parkplatz wurde allen Beteiligten beim Blick auf die Gefängnismauern bewusst, dass sie die nächsten sechs Stunden „hinter Gittern“ verbringen werden.

Herr Michgehl konstatierte direkt nach seiner Ankunft: „Ihr seid die erste Gruppe in 10 Jahren, die komplett ist.“ Nach einer sehr gründlichen Personenkontrolle lernten die Schüler zwei Sozialarbeiterinnen kennen, welche neben Herrn Michgehl die Führung durch die JVA-Gelsenkirchen begleiteten.

Eine besondere Erfahrung: Der erste Tag im „Knast“.

In diesen spannenden sechs Stunden hatten die Schüler die Gelegenheit, die JVA-Gelsenkirchen so kennenzulernen, als wären sie selbst Gefangene am ersten Tag im „Knast“. U.a. mussten sie Personenangaben machen, begutachteten die Gefängniskleidung, konnten eine Zelle von innen sehen (mit geschlossenen Türen), bestaunten die von Gefangenen kreativ erarbeiteten Waffen, selbsterstellte Ausbruchschlüssel oder Drogenbeförderungsmittel und vertraten sich die Füße auf dem Gefängnishof.

LNS Besuch JVA Gelsenkirchen
Die Schüler und Lehrkräfte vor den hohen Gefängnismauern


Das Kernstück des Besuchstages war der Kontakt zwischen den Jugendlichen und den Gefangenen. Innerhalb vieler intensiver Gespräche erörterten fünf „Knackis“, warum sie in der JVA gelandet sind, schilderten ihren Alltag in der JVA und was sie bereuen und vermissen durch ihren Freiheitsverlust. Ein gemeinsames Mittagessen (original “Knastessen”) und gemeinsame Pausen auf dem Gefängnishof führten dazu, dass die Atmosphäre zwischen den Jugendlichen und Gefangenen allmählich lockerer und ungezwungener wurde. Die Schüler merkten schnell, dass sie jungen Erwachsenen gegenüberstehen, die teilweise eine ähnliche Jugend hatten, wie sie selbst. Einigen Schülern gingen die Erlebnisse und auch die ungewohnte, einschüchternde Umgebung so nahe, dass sie ihren Emotionen freien Lauf ließen und auch Tränen vergossen. Umso erleichterter schienen die Gesichtsausdrücke beim Verlassen der dicken Mauern. Selbst eine mehrstündige, staureiche Rückfahrt konnte da die Erleichterung nicht schmählern: “Hauptsache wieder draußen!”

Ein emotionaler Tag mit bleibenden Eindrücken.

Die authentischen Eindrücke und Erfahrungen, die die Schüler durch das Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“ gewinnen durften, haben einen großen Eindruck hinterlassen, was durch die gemeinsame Abschlussreflexion erarbeitet werden konnte und auch der Projektkoordinator Herr Michgehl betonte resümierend: „Hinter den Mauern waren sich alle einig, dass es heute ein guter Tag war mit vielen Emotionen auf allen Seiten. Einige Gefangene meinten, wenn sie damals auch so engagierte Lehrer/innen gehabt hätten, hätten sie eventuell andere Wege eingeschlagen.“

 

Weitere Infos:

Die Geschichte des Vereins 

1996 hatten drei Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, genannt „Santa Fu“, die Idee zu einem Verein. Das Ziel: Insassen der JVA erhalten eine Aufgabe, indem sie im Bereich der Kriminal- und Gewaltprävention für Jugendliche arbeiten.  Die Projektkonzeption wurde in Zusammenarbeit mit der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung sowie der Justizbehörde erarbeitet. Nach einer Erprobungsphase im Jahr 1999 hat sich das Projekt der JVA-Besuche mit Jugendlichen durchgesetzt und wird seitdem als Kernprojekt des Vereins betrieben. "Gefangene helfen Jugendlichen e.V." ist seit 2001 ein eingetragener Verein und hat seit 2005 die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe.

Was steckt dahinter?

Den Schwerpunkt des Besuchs vor Ort legt das Team von "Gefangene helfen Jugendlichen e.V." (GhJ) in das Gespräch zwischen delinquenten Jugendlichen und ausgewählten, verantwortungsvollen Insassen, die ihre Taten bereuen. Der Gefängnisbesuch und die Konfrontation mit den Biografien der Insassen soll die Gedanken zur Lebensplanung und -auffassung der Jugendlichen erreichen. Er soll Irritationen in die Klischees und Stereotype der Jugendlichen von Kriminalität, Gefängnis und Gewalt bringen. Es ist ein Denkanstoß. Denken und Handeln müssen die Jugendlichen selbst. Starke Kooperationspartner, zuverlässige Förderer und ein beständiges Team haben es möglich gemacht, dass bereits über 5.000 Jugendliche durch den Besuch in den Justizvollzugsanstalten und über 11.500 Schüler durch den Präventionsunterricht erreicht werden konnten. In den letzten Jahren arbeitet GhJ daran, das Projekt auch auf andere Standorte auszudehnen, um bundesweit mehr Jugendliche zu erreichen. Mittlerweile gehören dazu die Standorte Bremen, Bremervörde, Hannover, NRW, Berlin und Schweiz (Lenzburg).

 

Projektleitung Loher-Nocken-Schule: Anja Becker und Benjamin Kaufmann

Projekt-Website Gefangene helfen Jugendlichen e.V.: JVA-Besuche